Es ist Sommer. Vom Rumpf getrennt sind Kopf und Füße. Mutterseelenallein
liegt der Rehkitztorso im frisch gemähten Gerstenfeld. Der Bremsen muntere
Schar tanzt in der goldenen Abendsonne einen lustige Reigen überm
strengriechenden Aas. "Lob der Vergänglichkeit" heißt dieses zarte Spiel
der schimmernden Flügel.
Für das Schalentier blieb das Leben nur eine Episode. Der Mähdrescher,
dieser unerbittliche Schnitter im Felde des Herrn, ruft oft die Besten weit
vor ihrer Zeit zu sich in die Haspel. So währte auch das Leben dieses
Kitzbockes nur ein paar Wochen. Eine zu geringe Zeit, um all die Pläne zu
verwirklichen, die einem jungen Rehbock durch den Kopf schießen mögen:
Vielleicht träumte er davon, in der Blattzeit die Ricken zu nageln wie ein
junger Gott, vielleicht wünschte er sich eine E-Gitarre - wir wissen es
nicht, wir, die wir hier an seinem Leichnam ausharren. Eine seltsame
Trauergemeinde: außer mir und den Bremsen ist lediglich meine Kreidler
Florett anwesend.
Das Schicksal des Kitzes hat ein höheres Wesen, der Mähdrescher, bestimmt.
Es ist nicht an uns, diese Entscheidung in Zweifel zu ziehen. Vielleicht
hat ein EG-Kommissar in Brüssel längst das Schicksal dieses Mähdreschers
besiegelt. Und wer weiß, ob das Leben dieses EG-Kommissars nicht in den
Händen einer winzigen Mikrobe liegt. Und ständen wir nicht genauso
fassungslos hier auf dem Stoppelfeld an einem lauen Sommerabend, wenn im
nachwachsenden Klee der Torso eines EG-Kommissars läge?
Und während das Bremsenballett in den choreografischen Niederungen eines
derben Ländlers über schwärender Wunde tanzt, tuckere ich auf dem Rücken
der Florett dem Abendbrot entgegen und werde das Bild eines toten
EG-Kommissars im Gerstenfeld nicht mehr los.